Im Zwischen-Raum


Ev Pommer (geb. 1968) beschreibt in ihrem Werk einen Raum, der zwischen dem menschlichen Körper als Grundmaß und einem bewegten, aufgeladenen und doch unsichtbaren Erfahrungsraum die Zwiesprache sucht. Als lineare Setzungen wirken die Skulpturen in den Raum hinein zart, poetisch und zurückhaltend. Dabei stellen sie in ihrer formalen Reduktion, ihrer Verletzlichkeit und ihrer energiegeladenen Spannung, die auch von den Naturkräften des Materials herrührt, grundlegende Fragen von Leben, Werden und Vergehen. Mit dem Verhandeln von Gegensätzen wie Dynamik und Stille, Material und Leere, vertikal und horizontal lotet Ev Pommer das hauchdünne Dazwischen aus, das dem Leben Energie und Balance verschafft.

Titelgebend für die Ausstellung „Resono“ ist die Arbeit „Widerhall“ (2018). Kreisförmig in geschwungenen Linien aus Fasern von Palmrispen steht sie vor der Wand. Rund um ein deutlich konturiertes Zentrum zieht die Arbeit immer weiter ausgreifend ihre Bahnen und spannt ein bewegtes, vibrierendes Feld auf, das die Umgebung in gemessener Geschwindigkeit durchfährt und an darin Befindliches rührt. Die Skulpturen von Ev Pommer haben keinen Anfang und kein Ende. Sie erzeugen vielmehr ein Spannungsfeld, das an die Stelle auch unseres Raumes tritt, in dem wir eben noch sicher und in gemessener Distanz standen. Damit setzen die Arbeiten uns physisch dem Unsichtbaren aus und schließen uns in einen Kreis mit ein, dessen Leere beunruhigen mag, da wir sie als die eigene erfahren müssen. Das Material, das Ev Pommer verwendet, entnimmt sie der Natur. In Essigbaum, Palmenrispen und Elefantengras findet sie die gewünschte Elastizität und Zähigkeit. Stück um Stück werden die Fasern mit textilen Gelenkverbänden aneinandergesetzt, die Rhythmus und zugleich Verletzlichkeit markieren. Das Werden und Wachsen ist den natürlichen Pflanzenstrukturen immanent und so transportiert das Material in seiner Substanz auch Fragen des Entstehens und Vergehens, kurz der Existenz.

Bezugspunkt der Skulpturen von Ev Pommer ist die Körperlichkeit menschlicher Existenz.[1] Ihre Arbeit „o.T.“ (2017) lässt dies in der vertikalen Ausrichtung der beiden Stäbe und den davon ausgehenden fünf Kreisen aufscheinen. Die Kreise wecken Allusionen an Körperteile wie Arme und Beine. Das Rot des Wachses mag an menschliche Gefäße gleich somatischen Bahnen erinnern, an Nervenbahnen, bloßgelegt wie in medizinischen Modellen.

Auch richtet die Künstlerin ihren Blick wieder und wieder auf die Haut, dieses größte Organ des menschlichen Körpers. Das Bild der Haut als Metapher für die Oberfläche und Hinweise auf deren Verletzlichkeit tauchen im Werk auf. In ihren Bronzearbeiten belässt die Künstlerin die weißliche Gipshaut nach dem Guss. Und in ihren Zeichnungen, die sie auf zartem, durchscheinendem Papier anfertigt, ist der Gedanke an Haut als permeabler und zugleich schützender Oberfläche allenthalben präsent. Es ist diese feine Schicht zwischen Innen und Außen, die Ev Pommer berührt und erspürt, auch um ein Bild für die Spannungen der Sensorik und die Empfindung des Dazwischen zu geben an der Naht zwischen Ich und Wir, Subjekt und Objekt, Leib und Umgebung.

Ausgehend von einem phänomenologischen Blick, der auf das Unsichtbare im Sichtbaren, auf die Transzendenz des Sichtbaren gerichtet ist[2], sucht Ev Pommer auch die physikalischen Bedingungen und Qualitäten des Unsichtbaren in ihre Skulpturen mit einzubeziehen. Direkt und unmittelbar erzeugt sie Energien und Spannungen; zugleich erspürt sie diese als Widerhall und verhilft ihnen zu Anschauung und Wirkung. Ein solcherart fragiler und ephemerer Raum, der den Betrachter mit einbezieht und ihn diesen Erfahrungen aussetzt, ist in umfassender Weise existentiell zu verstehen.

Die Zeichnungen im Oeuvre von Ev Pommer sind ein eigener Werkblock. Sie stehen unabhängig neben ihrem bildhauerischen Werk und funktionieren nicht im Sinne von Vorzeichnungen oder Ideenspeichern für Skulpturen. Auch in zeitlicher Hinsicht entstehen die Werkgruppen in klar voneinander geschiedenen Phasen.

Als Linien in schwarzer Tusche gezogen, erinnern die Zeichnungen an Schriftzeichen. Stets von oben nach unten erfolgt die Bewegung, die sich als Impuls in die farbig hinterlegte Fläche einschreibt. Energiebahnen, an- und abschwellend, aufgestaut, eruptiv und dann wieder zart fließend, so lässt sich dieser Weg in vertikaler Richtung Stück für Stück mit unterschiedlicher Spannung lesen. Das feine Abtasten mit der Feder findet in der Serie „Blaue Reihe“ vor blauem Hintergrund statt. Ev Pommer hat hierbei die Farbe auf das zarte Papier gedruckt. Ein Pulsieren gleich dem Atem geht von der farbig gefassten Fläche aus. Wie ein Ausschnitt aus unendlicher Weite wirkt die blaue Fläche zunächst makellos, noch vor ihrer Verletzung. Das Ritzen der Feder setzt Zeichen in eine Fläche, die sogleich als Raum gelesen wird und Allusionen an Himmel oder Wasser zulässt. Dieses Einschreiben in den Raum ist zugleich Markierung von Existenz im universalen Blau.

Es sind diese feinen Zwischenräume, die das Werk von Ev Pommer in Spannung versetzen. Auf den ersten Blick minimale Veränderungen, führen sie eine Entwicklung vor Augen, die von der Körperlichkeit ausgehend, immer allgemeinere Formulierungen für die Energie von Existenz finden. Erfahrungen und Erinnerungen werden bei dieser Entwicklung im Werk der Künstlerin auch eine Rolle spielen, was manch ein persönlich gehaltener Titel wie „Cado (lat. übers. Ich falle)“ nahelegt. Die Sprache ihrer Skulpturen und Zeichnungen hingegen ist so sehr ins Allgemeine gerichtet, dass sie dem Betrachter bei aller Gefährdung größtmöglichen Freiraum eigener Erfahrung belässt.

[Dr. Sabine Ziegenrücker, 2020]

  1. [1] Andreas Herrmann, Pressemitteilung, mianki.Gallery Oktober 2020.
  1. [2] Vgl. Alberto Giacometti, Ausst. Kat. Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1987, S. 94.